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Französisches Fondue

Publiziert am von bs

François frisst Fondue für Fünfzig Franc.

Laure lässt leider leckeres Lamm links liegen.
Skandalös sorglos sabotiert sie seinen Schmaus.
Da die Dame dennoch dinieren darf,
diskutieren die Dabeistehenden derbe darüber,
dass diese darauf drängt, diese Dummheit durchzusetzen.

Francois fragt freimütig:
Warum will wer was wohl weniger,
wenn wer wohl wirklich was wollen würde?
Könnte kalter Käse kulinarisch konkurrieren?
Kann köstliches Kalb keinen Kummer kurieren?

Sebastian sagt schmutzig schmunzelnd,
seine Schwester solle, so sie Solches sage,
sich sogleich selbst servieren.

Laure lacht lauthals.
Wortlos wird Wiehern Winseln, Winseln Weinen.
Tief Traurige Tränen tropfen trocken tischwärts.

So serviert Sebastian seiner Schwester sahnigen Schmelzkäs,
sodass sie sobald sich sammle, sowie Sorgen schwänden.
Dieser dämliche Dotter dürfte die doofe Dirne derweil dämpfen,
denkt der demütige Diener düster.

Final fällt François vom Futon.

 

(Studienarbeit „allterierte Prosa“, 2009)

 



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Hans im Glück

Publiziert am von bs

Es war einmal ein junger, fröhlicher Bursche namens Hans.

Nachdem er die Jahre der Lehre abgeschlossen hatte, trat er vor den Meister und dieser sprach: „Du warst mir ein guter Lehrling, Hans. Hast nicht harte Arbeit gescheut, warst mir ein zuverlässiger und tüchtiger Helfer, so dass ich stets mit dir zufrieden war. Nun hast du die Lehre hinter dich gebracht, und ich will dich anständig, wie es dir gebührt, für deine Mühen entlohnen.“ So sprach der Meister, übergab Hans einen großen Klumpen Gold und entließ ihn in die weite Welt, auf dass er seinen Weg finden möge.

So begann Hans seine Wanderung, fröhlich pfeifend, mit dem Goldklumpen in der Tasche. Die Sonne schien freundlich auf sein Haupt, die Vögel sangen, und ihm lachte das Herz. Die Arbeit hatte ihm Freude bereitet, und nun hatte er ausgelernt und war reich entlohnt worden. Er war glücklich und zufrieden, war nun ein freier Mann und hatte reichlich Gold in der Tasche, und so zweifelte er nicht an einer rosigen Zukunft und dass das Leben es mit ihm gut meinte.

Bereits kurze Zeit später stand die Sonne im Zenit und brannte erbarmungslos auf die Landstraße hernieder, so dass Hansen der Schweiß von der Stirn perlte. Der Goldklumpen wurde von Schritt zu Schritt schwerer und schmerzte ihm Schulter und Rücken und er begann ihn fortzuwünschen, dass er ihn nicht länger schleppen müsse. Da kam plötzlich ein großer, schwarzer Wagen des Weges, drosselte seine Geschwindigkeit und kam neben Hansen zum stehen. Wie von Zauberhand senkte sich die getönte Fensterscheibe und das freundliche, aufgequollene Gesicht eines Mannes erschien im Inneren des Wagens. Er sprach: „Gott zum Gruß, junger Wanderer! Wohin des Weges?“ „Hans ist mein Name. Ich habe meine Lehre beendet und der Meister gab mir einen großen Goldklumpen, der so schwer ist, dass er mir den Rücken schmerzt.“ Der Mann im Wagen merkte auf: „Ein großen Goldklumpen sagst du? So steig ein, ich will dich ein Stück mitnehmen, Hans.“ Voll Dank stieg Hans in den Wagen, und mit lautem Motorengeheul brausten sie davon.

Die Landschaft jagte draußen am Fenster vorbei, und Hans wurde beinah ein wenig flau im Magen, doch war er glücklich, seine Füße ausruhen zu können. Schon bald erreichten sie das nächste Dorf, und der Mann lenkte den Wagen zu einem großen, schönen Haus mit herrschaftlicher Anmutung und allerlei Zierwerk an der Fassade. „Einen Goldklumpen schleppen,“ so sprach der Mann, „ist wahrlich eine unnötige Plackerei, welche wohl keinem Menschen gut bekommt. Hier wohnt ein Freund von mir, welcher dir helfen kann. Sende ihm meine Grüße!“ Hans bedankte sich aufrichtig für die Hilfe seines neugewonnenen Freundes und betrat das schöne Haus durch die große Eingangstür. Es freute ihn, einen so netten Menschen getroffen zu haben, und er war gespannt, was ihn wohl nun als Nächstes erwarte.

Im Inneren war das Haus ebenfalls sehr schön. Boden und Säulen waren aus weißem Marmor und meisterhafte Gemälde schmückten die Wände. Ein dicker Mann mit einem Schnauzbart kam freundlich und einladend auf Hans zu und hieß ihn willkommen. Hans grüßte, und der dicke Mann fragte untertänig, wie er ihm wohl dienen könne. „Hans ist mein Name. Ich habe meine Lehre beendet und der Meister gab mir einen großen Goldklumpen, der so schwer ist, dass er mir den Rücken schmerzte. Doch dann kam ein Freund mit einem großen schwarzen Wagen und war so nett, mich hierher zu bringen. Er sagte, ich solle euch seinen Gruß bestellen und man würde mir hier gerne helfen.“ Der dicke Mann strahlte und bot Hans einen Stuhl, so dass er sich erst einmal setzen möge und man in Ruhe darüber sprechen könne. Dankbar nahm Hans Platz, und der Mann begann zu sprechen.

Die Reden des dicken Mannes gefielen Hans gut. Mal sprach er mit lauter, donnernder Stimme, dann wieder leise, beinahe andächtig. Hier und da erwartete er Hansens Zustimmung, die dieser gerne gab, und dann fuhr er fort mit seinem kunstvollen Vortrag. Hans war gefesselt und lauschte gespannt, obgleich er nicht verstand, worum es dem Mann ginge und wohin seine Reden führten, da er viele Wörter gebrauchte, die Hans noch nie gehört hatte. Doch wollte er nicht fragen, um den Mann nicht zu verstimmen. Der Mann sprach so begeistert und wahrlich gekonnt, dass Hans es nicht über sich gebracht hätte, seine Darbietung durch eine Zwischenfrage zu stören. Auch wollte er seine eigene Unwissenheit verbergen, um nicht in der Achtung des Mannes zu sinken, woraufhin dieser womöglich keine Lust mehr hätte, sich weiter zu unterhalten.

So sprach der Mann eine gute Stunde, bis er schließlich zum Ende gekommen schien und Hans bat, seinen Namen auf eine große Menge Papiere zu schreiben. Dieser tat, wie ihm geheißen und war überrascht, als er danach gebeten wurde, nun den Goldklumpen auszuhändigen. Erschrocken tat er auch dies und erhielt zum Ausgleich ein kleines goldenes Kärtchen mit seinem Namen darauf. Immerfort freundlich auf ihn einredend, schob der dicke Mann ihn zur Tür, und schon fand er sich draußen wieder, vor dem schönen Haus, mit nichts weiter als dem kleinen Goldkärtchen in der Hand.

 

Doch war er glücklich, den unbequemen, schweren Klumpen loszusein, steckte das Kärtchen in seine Tasche und machte sich erneut auf den Weg in die weite Welt. Es war mittlerweile schon Nachmittag geworden, und ihm knurrte der Magen, da er seit dem Frühstück nicht gegessen hatte. So betrat er gleich die nächste Gaststätte und bestellte sich ein großes Stück Fleisch mit reichlich Beilagen und dazu den besten Wein des Hauses. Er aß sich satt und trank den guten Wein, bis es draußen bereits zu dämmern begann. Der Wirt fragte ihn freundlich, ob es ihm geschmeckt habe und Hansen lobte seine fabelhafte Küche. Als er dem Wirt nun jedoch sein kleines Goldkärtchen zeigte, war dieser gar nicht mehr so freundlich und meinte, Hansen könne damit nicht zahlen. Wie Hans darauf erschrocken erwiderte, er habe nur mehr jenes Kärtchen, wurde der Wirt wütend und schrie: „Du kommst in meine Wirtschaft und speist wie ein König, trinkst meinen besten Wein und kannst nicht für die Zeche aufkommen? Ich werde dir Beine machen, dreckiger Landstreicher!“ Seine große Faust traf Hansen schmerzlich an den Kopf, so dass dieser im hohen Bogen vom Stuhl fiel. Kaum hatte er sich aufgerappelt musste er schon weitere Tritte und Hiebe einstecken, welche ihn gewaltsam zur Tür und hinaus auf die Straße beförderten. Dort fing er an zu laufen und hörte noch aus der Ferne das drohende Gebrüll des rasenden Wirtes. Blut tropfte ihm aus seinen Wunden und sein Schädel dröhnte.

Es war Nacht geworden, und Hans schleppte sich wütend zu dem schönen Haus des dicken Mannes mit dem Schnauzbart, der ihn offensichtlich betrogen hatte. Dort angekommen, fand er die Tür verschlossen und die Fenster dunkel. Er klopfte und rief, doch keiner antwortete. Von ferne hörte man Donner, es begann zu regnen und ein kühler Wind setzte ein. Seine Wunden schmerzten ihn sehr, und er begann zu frieren. Kraftlos sank er vor der großen Eingangstüre des schönen Hauses nieder und begann bitterlich zu weinen. Was war geschehen? Noch heute morgen war er glücklich gewesen und jetzt lag er hier am Boden, verwundet und allein. Traurig hallten seine Schluchzer in die dunkle Nacht hinaus.

Bereits nach kurzer Zeit sah er einen Wagen die Straße entlang kommen und direkt vor ihm anhalten. Zwei große, uniformierte Männer mit kantigen, unfreundlichen Gesichtszügen kletterten aus dem Wagen und stellten sich vor den am Boden liegenden Hans. „Personenkontrolle. Kann ich mal den Ausweissehen?“ fragte der eine mit harter, befehlender Stimme. „Ich bin Hans. Ich habe meine Lehre beendet, und der Meister gab mir einen großen Goldklumpen, der so schwer war, dass er mir den Rücken schmerzte. Danach brachte mich ein netter Mann in einem großen, schwarzen Wagen hierher zu diesem Haus und ein dicker Mann mit einem Schnauzbart war darin, der gab mir diese goldene Karte mit meinem Namen darauf.“ Hans suchte in seiner Tasche, doch sie war leer. Er musste die Karte über die Rauferei in der Wirtschaft vergessen haben. „Der dicke Herr,“ stammelte Hans, „er muss mich betrogen haben, weil der Wirt mich schlug, wie ich das Essen nicht bezahlen konnte!“ Kühl blickten die Polizisten auf ihn herab. Plötzlich zückte der eine seinen Schlagstock und schlug Hansen so fest, dass man mit lautem Knacken seine Knochen brechen hören konnte. „Der Herr mit dem Schnauzer ist mein Bruder, du Lump. Pass auf, wen du einen Betrüger nennst!“ schrie der Polizist. Hans erwiderte nur mehr ein leises, kraftloses Wimmern, spuckte einen Schwall Blut und verlor das Bewusstsein.

Am anderen Morgen erwachte Hans, als ein warmer Sonnenstrahl durch das Zellenfenster auf sein Gesicht fiel. Seine Wunden waren verkrustet, und er fühlte sich wie gerädert. Mit einem lauten, metallischen Geräusch ging die Zellentür auf und zu seiner Überraschung trat der dicke Mann mit dem Schnauzer herein, doch Hans war zu erschöpft um zornig zu sein. Das Gesicht des Mannes war ernst, als er Hans begrüßte: „Ich habe eine schlechte Nachricht, aber davon gleich.“ Er räuspert sich und begann zu sprechen: „Das Missverständnis mit dem Wirt und meinem Bruder dem Polizisten, welche dich für einen armen Landstreicher gehalten haben, konnte ich natürlich aufklären und dich erwartet also keine weitere Strafe. Der Wirt hat seine Anzeige zurückgezogen und auch mein Bruder wird die Vorfälle der letzten Nacht vergessen, so dass du keine Verurteilung fürchten musst.“ Dies sagte der Mann mit ernster, aber beruhigender Stimme. „Die schlechte Nachricht aber gilt deinen Anlagen. Der Dax ist letzte Nacht in den Keller gestürzt, folglich haben deine Aktien gravierende Werteinbußen hinnehmen müssen. Es tut mir leid, junger Freund, aber du hast dich einfach verspekuliert.“ Hans sah den Mann ungläubig an. Besonders den Teil mit dem Dachs hatte er nicht verstanden, und was der Mann ihm nun genau mitteilen wollte, schien ihm ebenso schleierhaft. Allerdings war er sehr glücklich, dass sich die Sache mit dem Wirt und dem Polizisten aufgeklärt hatte. Er dankte dem Mann mit dem Schnauzer für seine Hilfe und verließ hinkend die Zelle.

Draußen auf der Straße war er glücklich, wieder frei zu sein und dass ihm Schlimmeres erspart geblieben war. Das Gehen fiel ihm schwer, die Schritte schmerzten, aber er war froh über die schnelle Hilfe des Freundes. Auch wenn das Leben einem übel mitspielt, so gibt es doch immer einen Funken Hoffnung, philosophierte er so vor sich hin. Ist die Welt auch krank und schlecht, und trachtet einen zu zerstören, so wird man doch nicht untergehen, wenn man nur ein paar liebe Freunde hat, sagte er sich selbst, und bei dem Gedanken war ihm gleich wohler.

Just in dem Moment fuhr der große, schwarze Wagen vorbei, so nah, dass er Hans in eine dunkle Wolke von Abgasen hüllte und dieser husten musste. Er winkte, doch der Freund schien ihn nicht gesehen zu haben, und der große, schwarze Wagen verschwand in der Ferne und ließ Hans allein am Straßenrand zurück.

Und so ging Hans seiner Wege, und wenn er nicht gestorben ist, dann tut er das noch heute.

(Studienarbeit „Märchenadaption“, 2009)


 
 



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Holunderblüten

Publiziert am von bs

Es schweben durch sommerlich warme Lüfte
der Holunderblüten liebliche Düfte.
Die sanfte Berührung streichelt die Sinne,
als ob leise ein Ton aus der Ferne erklinge.

Ein Hauch, unmerklich im Strom der Gezeiten
zu schwach, verblassend in endlichen Weiten.
Ein stilles, kaum hörbares, winziges Flüstern
bläht des Allergikers schwülstige Nüstern.

Anmerkung:

Sirup ist süß wie eine Panzerfaust,
weshalb mich der bloße Gedanke schon graust.
Klebriger Ekel malträtiert den Geschmack
und vergewaltigt die Nerven,
      wie ein Tritt in die Genitalien.

(post-neo-romantisches Gesülz mit dramatischer Wende)

 
 



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Mein teuerstes Werk

Publiziert am von bs

Es war die letzte Arbeit meiner Schulzeit, sowie die größte und teuerste meines künstlerischen Schaffens bis dato. Deshalb möchte ich von jener Arbeit berichten.

Das postmoderne, brutalistische Betonkonstrukt, welches meine Schule beherbergte, besaß einen kleinen Durchgangsraum am Eingang. Links Beton, rechts Beton, vorne und hinten Glastüren. Nichts drin, außer etwas Ausstellungsfläche an der Betonwand. Der Boden rot gefliest und an sonnigen Tagen von Sonnenschein erhellt. So betraute man uns wahrhaftige Künstler mit dem Auftrag jene leere Fläche zu füllen und unser kreatives Genie mit der schulischen Öffentlichkeit zu teilen.

Zusammen mit dem Kollegen Philip Ersch widmete ich mich also jener Aufgabe. Unser Ziel war es etwas Einmaliges, etwas Kolossales zu hinterlassen. Eine monumentale Plastik, ein großartiges und endgültiges Kunstwerk. Keinen dekorativen, naiven Schwachsinn, wie man es vielleicht von uns erwartete. Es sollte etwas Großes geschaffen werden und uns nicht nur den Respekt der Schule, sondern der gegenwärtigen und den der nachfolgenden Generationen, ja der gesamten Menschheit einbringen.

Unser Ziel war formuliert und so machten wir uns an die Arbeit.

Unsere Ausstellungsfläche wurde leider unschön von einem circa 1 Meter hohen Heizkörper besetzt von welchem ein Rohr senkrecht zur Decke verlief. Dieser Eingangsbeheizer zerteilte unsere Wand in einem 1 : 2 Verhältnis, woraufhin wir uns zu einem asymmetrischen Triptychon gezwungen sahen. So bespannten wir zwei große Keilrahmen, circa 1,4x 2,2 Meter und einen dritten kleineren quadratisch mit Seitenlänge 1 Meter. Das verhältnismäßig kleine Quadrat füllte die Ecke, welche Heizkörper und Rohr auf der rechten Seite einspannten und die beiden großen Leinwände die restliche Wand. Der Heizkörper wurde so zu einem Teil der Installation und fügte sich harmonisch in die Gesamtkomposition.

Wir überschrieben unser Projekt mit dem Arbeitstitel „Etagenmalerei“ und sahen uns mit unserer expressionistischen Konzeption schon in die Fußstapfen berühmter Maler, wie Jackson Pollock oder Niki de Saint Phalle treten, denn keiner von uns sollte einen Pinsel in die Hand nehmen. Aus großen Eimern wollten wir die Farbe auf die Leinwand gießen und das von einer möglichst hohen Stockwerk aus, wobei die Physik das Übrige tun sollte und unser Werk vollenden würde. Dabei fühlten wir uns brutal modern.

An einem schönen Sommertag fanden wir uns also Nachmittags in der weitgehend menschenleeren Schule ein und begannen mit der eigentlichen Malerei. Da wir als leider noch unentdeckte Virtuosen, damit rechnen mussten für eventuell verbleibende Verschmutzung durch unsere Acrylfarbe bzw. unser preiswerteres Äquivalent zur Verantwortung gezogen zu werden, entschieden wir uns für eine Feuerschutztreppe zum Schuldach auf der Höhe des 1.Stocks. Gerne wären wir höher hinauf gestiegen, aber wir mussten uns des Gegebenheiten fügen. Nachdem wir eine Plane auf der Wiese des Sportplatzes verlegt und unsere Leinwände darauf positioniert hatten, stiegen wir die Stufen hoch und begannen den Farbeimer zu füllen.

Es war ein ehrfürchtiger Moment, als ich diese großen weißen Leinwände da unten liegen sah, den Eimer hob und mit einem Schwall schwarzer Farbe die Bildfläche füllte. Die Farbe flog aus dem Eimer, stand einen kleinen Moment in der Luft und klatschte dann mit der ganzen Kraft ihrer Masse auf die Malfläche. Von einem ästhetischen Gesichtspunkt betrachtet, waren die Bilder zu diesem Zeitpunkt am besten. Ein einziger schwarzer Spritzer, welcher sich diagonal über alle drei Leinwände zog, ein knackiger Kontrast, klare Konturen und wahnsinnig dynamisch, eben aufgrund der Höhenmeter. Doch unser Ansatz war kein ästhetischer und wir hatten beinahe 6 Liter Farbe mit auf das Dach genommen.
Kurze Rechnung: Bei grob 6 Litern Farbe, mit dem Wasser zur Verdünnung sagen wir 10 Liter und einer Höhe von ungefähr 3,5 Metern, haben wir zusätzlich (im Vergleich zum total langweiligen Ateliermaler) 343,35 Joule an Höhenenergie auf die Leinwand geballert. Energetisch gesehen war unser Kunstprojekt also schon einmal auf hohem Niveau anzusiedeln.

So schütteten wir also Eimer für Eimer vom Dach, bis Farbe und Lust an der Malerei erschöpft waren. Unser Übermut, sowie der kindliche Spaß am Farbeimer verschütten, hatten leider dazu geführt, dass sich auf einer Leinwand ein See gebildet hatte und die Farbe zu verlaufen begann. Dazu hätte man wahrlich nicht auf ein Dach steigen müssen. Aber nichts desto trotz: Es war vollbracht. Von tiefer Kontemplation innerlich erfüllt blickten wir auf das vollbrachte hinab. Die Sonne senkte sich bereits und färbte den Himmel in malerische Rottöne. In diesem Moment betitelte ich das Werk mit dem wunderschönen Namen:

Odyssee in rot

Eigentlich entstand der Name erst später, nämlich als ich zuhause am Computer das kleine Schild entwarf, welches später neben dem Werke hängend, selbiges erläutern sollte. Der Titel war bezeichnend, da wir alle Farben auf die Leinwände gekippt hatten, eben bis auf rot. Somit zeigten die Bildnisse ein matschiges Geflecht, welches primär mit den Farben gelb und blau zu einer starken grau-grün Dominanz führte. Das Fehlen der Farbe Rot auf den Leinwänden sollte im Gesamtwerk, also der späteren Installation durch den Titel behoben werden. Leider wurde dieser eigentlich banale Zusammenhang kaum erkannt.
Der Direktor sollte später witziger Weise sogar über eine chiffrierte politische Botschaft, namentlich einen kommunistischen Bezug spekulieren. Er schien sichtlich beruhigt, als ich ihm versicherte es sei kein politisch motiviertes und auch kein kommunistisches Werk. Ich fühlte mich ausnahmsweise zu unrecht politisiert.

Nachdem die Bilder in der Turnhalle getrocknet waren (eine kleinere Räumlichkeit hätte ihrer künstlerischen Größe nicht genügt) begannen wir sie aufzuhängen. Die fertige Installation bestand nun also aus dem abstrakten Triptychon, durchbrochen von dem Heizkörper, dem im gleichen Farbton bemalten Eimer mit hölzernem Rührstock und dem kleinen Schild mit erläuterndem Text. Damit war das Werk vollständig und unsere Arbeit vollbracht. Leider erst eine Woche nach Notenschluss, daher gab es keine Punkte dafür. (Dieser Umstand hat allerdings keinen Einfluss auf die Arbeit.)

 

Auf dem kleinen erläuternden Schild war zu lesen:

„Odyssee in rot“
von Philip Ersch, Benedikt Sommer
Dispersionsfarbe auf Plastikeimer, Holz,
Leinwand; Installation;
2,23×1,45 m, 2,23×1,44 m, 1,04×1, 04 m,
Kaufpreis: 257 000 Euro


Die Reaktion waren grandios und wir badeten in Ruhm und Ehre. Meine Religionslehrerin sagte es wären „wunderschöne Bilder“, aber mit ihrem bescheidenen Lehrergehalt wären sie nicht zu finanzieren. Dieser traurige Umstand musste wohl auf sämtliche Besucher der Schule zutreffen, da ein Käufer auf sich warten ließ. Nun ja, der Preis war nicht verhandelbar. Ich hatte mich bei der Berechnung des Preises streng an die gängige Faustregel „Länge mal Breite mal sozio-kultureller Bedeutung“ gehalten und gerade als junger Künstler darf man sich nicht unter Wert verkaufen. Man kennt die Geschichten von begabten Künstlern, welche von den rücksichtslosen Kunstmarktkapitalisten ausgebeutet und betrogen werden. Jene Finanzhaie tätigen Investitionen, häufen ihren Reichtum und der Künstler bleibt arm, wenn auch nur zu seinem Besten. Man weiß schließlich, dass Künstler nicht mit Geld umgehen können.

Ein kleiner Rat an eventuelle Leser, welche selbst einmal „Kunst“ oder was sie gerade dafür halten in der Öffentlichkeit ausstellen möchten: Versehen Sie ihr Werk mit einem Preis! Je höher desto besser. Versetzen Sie sich einmal in den gemeinen, vollkommen ahnungslosen Kunstrezipienten: Für diesen bekommt ihre Arbeit erst mit einem zugeordneten Geldbetrag eine greifbare Dimension, einen praktisch am eigenen Vermögen zu ermessenden Wert. Was Sie abbilden ist dabei unerheblich und ob er ihr Werk kaufen wird ist wiederum eine vollkommen andere Frage. Kostet ihre Arbeit soviel, dass er sie sich nicht leisten kann, so wird er sich klein und hilflos vor ihr verneigen. Es handelt sich hierbei eigentlich um völlig Kunst ferne Gesetzte der kapitalistischen Gesellschaftsordnung. Wenn jetzt aber ein Reicher zufällig mitbekommt, wie ganz viele Arme sich das Bild nicht leisten können, dann stehen die Chancen gut, dass er sich und andere von seiner vermögenden Stellung überzeugen muss und Ihnen das Werk abkauft. Glückwunsch!

Wie erwähnt wartete „Odyssee in rot“ vergeblich auf einen Käufer. Die Leute fanden den Preis zwar hoch, jedoch wohl gerechtfertigt, schienen aber die Kohle nicht zu besitzen. Damit stellte sich uns Künstlern ein ernsthaftes Problem, da wir unsere letzten Tage an der Schule verbrachten und die Bilder zu groß waren, um sie in einem normalen PKW zu transportieren.

Wie wir nun so sannen, was zu tun war, da kam folgende Idee auf: Schenkt die Bilder der Schule. Die Idee war tatsächlich nicht so edel, wie man im ersten Moment vermuten möchte, eben wie es meistens ist, wenn jemand etwas verschenkt. Die Idee war die Werke der Schule zu spenden, wobei auf das korrekte Ausstellen einer Spendenquittung zu achten wäre, welche dann wiederum steuerlich geltend gemacht werden könne. Steuerlich absetzbar war, so versprach man uns 10 Prozent, was bei einem Preis von 257 000 Euro ja immer noch ein feines Taschengeld für einen frischgebackenen Abiturienten wäre. Man brauchte nur noch jemand, der auch soviel Steuern bezahlen muss, dann das Bild jenem schenken, dieser schenkt es der Schule, holt sich die Steuer wieder und am Ende hätte man Bargeld. Ein dämlicher, rechtlich und vor allem moralisch extrem fragwürdiger Plan und somit beließen wir es bei jenen theoretischen Überlegungen.

Am Ende bekamen wir unsere Zeugnisse und verließen die Schule. Die Bilder blieben einfach in der Eingangshalle hängen. Einfach so, ohne Umstände, ohne Geld.
An diesem Punkt könnte die Geschichte ein gutes Ende finden. Ich war zufrieden, denn ich wusste die Bilder gut aufgehoben in der Eingangshalle und hatte das gute Gefühl auch nachfolgende Generationen mit meiner Kunst zu beglücken. Es kam allerdings anders.
Wie man aus Kriminalserien weiß, darf ein Verbrecher nie zum Ort des Verbrechens zurück kehren, tut es aber trotzdem und wird dann erwischt. Bei ehemaligen Schülern ist das ähnlich, nur weniger folgenschwer. Eigentlich ist es nur traurig, weil man merkt dass das was man sucht, hier nicht mehr zu finden ist. Ich dachte ich wüsste das bereits, da ich es ja bei anderen Ehemaligen beobachtet hatte, wenn sie grundlos kamen, weil sie nichts mit sich anzufangen wussten.

Ich war leider gezwungen Monate später noch einmal zur Schule zurück zu kehren, um einen Kreidekasten und ein paar Zeichenblöcke aus dem Kunstraum zu holen, welche ich unachtsamer Weise dort zurück gelassen hatte. Es war gerade Unterricht und wie ich es kannte war das Gelände scheinbar ausgestorben, obwohl knapp Tausend Schüler gerade eifrig lernten.

Ich betrat die Eingangshalle und betrachtete das Bildnis, welches vor mir an der Wand hing. Der Beton war der gleiche, sowie die Bodenfliesen und der Heizkörper. Aber was musste ich vor mir an der Wand hängen sehen? Eine schematische Tafel zur Erläuterung der Funktionsweise einer Müllverbrennungsanlage. Darauf war ich nicht vorbereitet gewesen. Ich hatte die Botschaft verstanden. Angewidert und zutiefst verletzt holte ich meinen Kreidekasten und verließ das Schulgelände, um nie mehr wiederzukehren.

Benedikt Sommer
(München, 2008)

 

 



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